12. Wer spricht gewinnt! Oder doch nicht?

Fotomontage: 2 Männer stehen in einer Waage, jeder auf einer Waagschale mit einem Megaphon schreien sie einander an.

Wir stehen mächtig unter Strom. Durch unseren Körper fließt der Drang, mit den eigenen – selbstredend richtigen – Argumenten durchzukommen oder noch besser: einen K.O.-Sieg zu landen. Die Leitlinien einer Aufmerksamkeitsgesellschaft haben sich in unser Gehirn eingefräst: Wer sendet, findet statt: „Ich rede, also bin ich.“ Wer schreit, setzt sich durch. Präsenz um jeden Preis.

„Anne Will“. „Plasberg“. Politiker im „Diskurs“. Oder so ähnlich. Gast 1: „Wir planen derzeit ein neues Gesetz zur …“ Gast 2: „Hören Sie doch auf mit Ihren abstrusen Plänen zum …“ Gast 1: „Wenn Sie mich ausreden lassen, beweise ich Ihnen, dass unsere Pläne alles andere als …“ Gast 2: „Sie brauchen mir nichts zu beweisen, Ihre Tatsachen sind an den Haaren herbeigezogen.“ Die Diskutanten verwenden einen erheblichen Teil der Sendezeit darauf, sich gegenseitig darauf hinzuweisen, ausreden zu wollen. Meist legen die Mahner trotz des erhobenen Zeigefingers selbst kaum Wert darauf, fremde Argumente vollständig ausklingen zu lassen. Die vorgefasste Meinung lässt keine Gegenrede zu. Im Kampf um die Debattenkrone darf es nur einen Sieger geben: mich. Konstruktiver Austausch? Fehlanzeige. Dazulernen: Wozu? Was für eine erbärmliche Diskussionskultur!

Auch im Job oder im Alltag sehen sich viele in ständiger Konkurrenz. Der Standpunkt definiert das Image. Dominanz und Durchsetzungskraft sind wichtiger als soziale Kompetenz und Empathie. Während das Gegenüber seine Argumente vorträgt, überlegt man sich bereits eine wuchtige Antwort. Und alles um uns herum ist schneller und lauter geworden. Wir lassen uns davon anstecken, sind ungeduldig, hektisch, aufbrausend. Auch im Dialog. „Denke immer daran: Wenn Du etwas sagst, dann wiederholst Du nur das, was Du sowieso schon weißt. Aber wenn Du zuhörst, dann kannst Du noch Neues erfahren“, analysiert der Dalai Lama den Nutzen des Ohren Spitzens. Zuhören ist die Voraussetzung dafür, die Welt zu begreifen. Der andere könnte Recht haben, seine Absichten könnten sogar wohlgemeint sein. Ergo: Wir tun gut daran, Worte geschehen zu lassen. Kritik und Gegenwehr können und sollen sein, zu ihrer Zeit.

Die Konzentration auf eine Person ist eine Haltungsfrage. Durch echtes Zuhören entsteht eine zwischenmenschliche Bindung, denn jedes Individuum möchte wahrgenommen, geachtet und verstanden werden. Wenn wir lernen, den Austausch in all‘ seiner Fülle und Breite zuzulassen, können wir neue Horizonte erklimmen, unser eigenes und das Leben unserer Mitmenschen positiver gestalten. Atmosphärisch und faktisch. Um mit weisen Worten des Schweizer Dichters und Politikers Gottfried Keller zu schließen: „Mehr zu hören, als zu reden – solches lehrt uns die Natur: Sie versah uns mit zwei Ohren, doch mit einer Zunge nur.“

Mit den besten Grüßen
Brigitte Fritschle

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